Auf den Spuren der Mary Rose

Praktikum einer angehenden Fremdsprachenassistentin rund um ein Schiff aus der Zeit der Tudors

 

24. Oktober 2016, Portsmouth in Südengland, Mary Rose Museum: Anna Gerke, Praktikantin im Bildungsgang Kaufmännische Fremdsprachenassistentin des Hubertus-Schwartz-Berufskollegs in Soest, mischt sich unter die Besucher. Sie absolviert die letzten Tage ihres vierwöchigen Oktoberpraktikums und befindet sich mit einer Übersetzungsarbeit in den letzten Zügen. Jetzt, um 10.00 Uhr morgens, herrscht die Ruhe vor dem Sturm in den Ausstellungsräumen. Es ist still um das fast 500 Jahre alte Kriegsschiff von Henry VIII. mitsamt seinen Besitztümern, das vor mehr als 30 Jahren in einer spektakulären Bergungsaktion vom Meeresboden emporgehoben wurde. Nachdem es bei einer englisch-französischen Schlacht im Jahre 1545 unterging, schlummerte das Wrack mehr als 400 Jahre in Schlick und Geröll, was seiner Beschaffenheit und den auf ihm befindlichen Objekten keinen Abbruch tat - im Gegenteil, 19.000 Artefakte gehören zum Inventar des Schiffes. Als Praktikumsstelle einer angehenden Fremdsprachenassistentin eine ungewöhnliche, aber umso beeindruckendere Materie.

Das historische Interesse der Praktikantin kommt ihr zugute, als sie mit einer Übersetzungsarbeit betraut wird: um auch internationalen Besuchern die Museumsinhalte in all ihrer Brisanz und ihrem Informationsgehalt näher zu bringen, arbeitet das Dolmetscherteam an einem „Audio Guide“. Die wichtigsten Details über die Mary Rose, ihren tragischen Untergang und das Leben der Crew an Bord des Schiffes galt es, zu übersetzen. Dank eingehender Übersetzungsübungen in der Schule gingen der deutschen Praktikantin diese Tätigkeiten leicht von der Hand; bei einigen spezifischen Ausflügen in die Schiffsnautik machte sie sich zunächst selbst mit dem Objekt vertraut, um es Besuchern in kompakter und verständlicher Form zu erklären – schließlich gehören „Krähennest“ oder „Hornnocke“ nicht zwingend zum allgemeinen Sprachgebrauch. Nachdem sie den Text schriftlich fertiggestellt hatte, stand das Aufnehmen des deutschen Texts auf dem Programm. „Dies war eine völlig neue Erfahrung für mich; in Zukunft werden deutsche Besucher meine Stimme hören, wenn sie die Ausstellung besichtigen.“

Neben der persönlichen Erfahrung reizte die Praktikantin an diesem Projekt auch die Chance, an dieser „einzigartigen Unternehmung“ mitzuwirken und einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Kundenservice zu leisten. Zusätzlich bekam sie Einblicke in jegliche kaufmännische Abläufe, die im Museum aus betriebswirtschaftlicher Sicht anfallen. An der Seite einer Kollegin lernte sie, wie mit den Wocheneinnahmen verfahren wird oder wie Käufe im museumsinternen Shop bilanziert werden. Auch wohnte sie einer Konferenz der Manager bei und füllte Evaluationsbögen mit Besuchern aus.

Im Curriculum der zweijährigen Ausbildung zur Kaufmännischen Fremdsprachenassistentin ist das Absolvieren zweier jeweils vierwöchiger Praktika Pflicht. Dabei entscheiden die SchülerInnen, wo sie die betriebswirtschaftlich orientierte Arbeit hinführt. Natürlich wird der Aufenthalt im englisch- oder spanischsprachigen Ausland empfohlen – beide Sprachen bilden elementare Stützen des Bildungsganges. Und so entschied sich auch die Praktikantin kurz nach Beginn der Ausbildung vor gut einem Jahr für einen Praktikumsmonat in England. Unterstützt durch das Förderprogramm Erasmus + erlebte sie vier Wochen in einer englischen Gastfamilie. Dies rundete den Lernaufenthalt ab und war sowohl in persönlicher als auch in kultureller Hinsicht eine große Bereicherung. Auch die junge Universitätsstadt Portsmouth gefiel der 20-Jährigen gut. „Nicht ein einziges Mal fühlte ich mich als Ausländerin; ich habe viele nette Menschen kennengelernt und mich wohlgefühlt.“ Ob sie den Aufenthalt in England weiterempfehle? Wärmstens, allerdings steht zu befürchten, dass das Programm in dieser Form in Zukunft – man bedenke das Brexit-Votum - bestehen kann. Gerade arbeitet die Schule an einer Kooperation mit Irland, um ihren Schülern weiterhin die Erfahrung im englischsprachigen Ausland zu ermöglichen.


Foto: privat - Anna Gerke, FA 15